Prinzessin Ilse

Die liebliche Ilse war die Freude und der Stolz des greisen Fürsten. Manch‘ edler Ritter zog auf die Burg, um der schönen Ilse zu huldigen.
Illustration Luise Bussert, „Die schönsten Sagen aus dem Harz“

Die Sage von der Prinzessin Ilse

Die Sage von der Prinzessin Ilse
Illustration Luise Bussert, "Die schönsten Sagen aus dem Harz"

Mächtiger denn heute ragte in alten Zeiten der Gipfel des Ilsensteins empor, damals, als er mit dem gegenüberliegenden Westernberge noch ein Ganzes bildete. Auf seiner Höhe aber thronte König Ilsungs Schloss. Eine liebliche Tochter, Ilse geheißen, war die Freude und der Stolz des greisen Fürsten. Manch‘ edler Ritter zog auf die Burg, um der schönen Ilse zu huldigen.

Mit Neid sah das eine Frau, deren Haus nicht fern von dem königlichen Schlosse lag. Auch sie besaß eine Tochter, so alt wie Ilse. Aber kein Mensch hatte die rothaarige Trude mit den bösen Augen und den gehässigen Reden gern. Obgleich ihre Mutter reich an Schätzen war, ja reicher vielleicht als der König, so mochte doch keiner der Jünglinge die Trude zum Weibe haben. – Auch die Alte wurde von allen gemieden, denn man sagte von ihr, dass sie eine böse Zauberin sei.

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Einst nun wollte ein Wanderer hinauf zur Ilsenburg. Indessen war er vom weiten Weg so erschöpft, dass er bei der Alten und ihrer Tochter eine kurze Rast zu machen beschloss. Als nun Trude den Fremdling erblickte, bat sie die Mutter dringend, alle ihre Künste anzuwenden, um den Fremdling zu fesseln, damit er ihr Gemahl werde. Gern gab die Mutter den Bitten der Tochter nach – sie wünschte von Herzen, Trude als die Gattin des vermutlich vornehmen Ritters zu sehen. Heimlich tropfte sie dem Jüngling im Schlaf ein Zaubergebräu in die Augen. Die Hexerei gelang! – Junker Rolf blieb wirklich im Hause der Alten, und, was keiner vor ihm getan, er huldigte der Hexentochter! Man rüstete zur Hochzeit.

Einst aber schlenderte der Jüngling allein durch den Wald, kam in die Nähe des Schlosses und erblickte die Prinzessin Ilse. Da war es um ihn geschehen! Sich das erste Mal sehen und verlieben – war eins. Der Eindruck war so mächtig, dass der Zauber der Hexe davor schwand. Als er zurückkehrte zu Trude, konnte er nicht begreifen, wie sie ihm so lange gefallen hatte. Trude merkte die Veränderung und geriet vor Wut außer sich. Schließlich entriss sich Rolf den Banden, in denen die bösen Frauen ihn hielten, eilte hinüber zur Burg Ilsungs und bat den König, ihm Gastfreundschaft zu gewähren. Freundlich bewillkommten der alte Ilsung und seine Tochter den fremden Junker.

Die verlassene Trude schrie und jammerte tagaus tagein. Die Witwe suchte ihr ungebärdiges Kind zu beruhigen; aber nichts half; und als nun gar die Kunde zu den Ohren Trudes drang, dass König Ilsung seine Tochter mit dem Junker Rolf verlobt habe, da kannte ihre Wut keine Grenzen. Die Mutter blickte mit unheimlich racheglühenden Augen ihr ins Antlitz.

»Harre der Mainacht, Kind,« sprach die Alte dann in dumpfen Ton. Hierauf verließ sie Trude und betrat das Gewölbe, in welchem sie ihre schwarze Kunst betrieb. Welch schauriger Aufenthalt! Ringsumher lagen Gebeine, und Totenköpfe grinsten mit ihren hohlen Augen unheimlich aus den Ecken. Die Zauberin begann ein geheimnisvolles Treiben. Oft sahen sie jetzt Köhler um Mitternacht den Wald durchwandern, Molche und Schlangen fangen und nach Wurzeln und Kräutern suchen.

»Harre der Mainacht!« hatte die Alte zu ihrer Tochter gesagt, und jetzt endlich nahte die Zeit. In der Nacht des ersten Maientages herrschte reges Treiben; da ritten die Hexen auf Böcken und Besenstielen durch die Luft nach dem Brocken, feierten ihr Fest und tanzten zum Schlusse den Schnee von dem Gipfel. Sonst war auch Trudens Mutter unter dieser unheimlichen Gesellschaft; aber jetzt begab sich die Alte auf eine Höhe, von der aus der Ilsenstein zu übersehen war. Hier zündete sie ein helles Feuer an und hob einen großen Kessel darüber. Kurz darauf brodelte und prasselte es gewaltig darin.

Die Nacht war rabenschwarz. Die Wolken hingen schwer vom Himmel hernieder. In die Finsternis hinein malte die Hexe mit ihrem Zauberstab geheimnisvolle Zeichen, beschwor die Geister des Wassers, der Luft und der Berge. Immer düsterer umzog sich der Himmel, – da plötzlich – wie eine feurige Schlange, zuckte ein Blitz hernieder! Der Himmel war anzuschauen wie ein Feuermeer, und das Getöse des Donners fand kein Ende. Dazu strömten aus den Wolken unaufhaltsame Regengüsse hernieder, auf den Bergen und in den Thälern schmolz der Schnee, und große Wassermassen wälzten sich von den Höhen durch die Thäler, immer reißender, immer verheerender werdend. Bäume und Klippen wurden von der Wucht der stürzenden Wasser fortgerissen und mit donnerndem Getöse gegen die Felswände geschleudert, so dass diese in ihren Grundfesten erzitterten.

Erschreckt von dem Unwetter waren die Bewohner des Ilsensteins erwacht und hinausgestürzt. Finsternis verhüllte ihren Augen noch die furchtbare Lage, in der sie sich befanden; aber das Donnern der stürzenden Klippen und das Rauschen des entfesselten Wassers sagte ihnen, was sie zu fürchten hätten. Allein schlimmer noch, als es irgend einer der Schlossbewohner geahnt, stand es um den Ilsenstein; Klippe um Klippe löste sich von dem Anprall der vom Brocken stürzenden Fluten, der Burg drohte der nahe Untergang. Der König, Rolf und Ilse flüchteten sich höher den Berg hinan, und von hier aus sahen sie bald ihren geliebten Ilsenstein mit furchtbarem Getöse hinabstürzen in die Tiefe.

Und immer noch wütender raste das Wetter, immer näher traten den Flüchtigen die alles überschwemmenden Wassermassen. Da – ein erneuter Anprall der entfesselten Elemente, und der Felsen mit dem König und der Prinzessin Ilse sank in die Tiefe. Auf einer Anhöhe, die vom Untergange verschont geblieben, hatten mehrere Köhler gestanden und mit Entsetzen dem grausigen Schauspiel zugesehen. Sie sahen die Schlossbewohner in den Fluten versinken, bemerkten aber auch, als Ilse langsam hinabsank, eine mächtige Gestalt, welche die Prinzessin aufhob und forttrug. Vermutlich war es ein Berggeist, der die Jungfrau rettete und in sein Bergschloss führte.

Die Zauberin und Trude schauten dem Untergang triumphierend und schadenfroh zu. Jetzt versank die gehasste Ilse in den Fluten! Trude jauchzte auf bei diesem Anblick; nun würde Rolf zu ihr zurückkehren. Denn nur um den König und sein Kind zu verderben, waren die Wasser entfesselt worden. – Aber Trude hatte zu früh gejubelt; plötzlich stürzte vor ihren Augen auch Rolf in die Tiefe und verschwand in den brausenden Wassern.

Anfangs stand sie starr und konnte das Unbegreifliche nicht fassen; hatte doch ihre Mutter gesagt, ihrem Liebsten würde kein Leid geschehen. Als sie aber sah, dass alles verloren war, da stieß sie einen gellenden, verzweifelten Schrei aus und stürzte sich selbst dem Junker nach, hinab in die Flut.

Die Mutter hatte dem wahnsinnigen Tun ihres Kindes nicht wehren können, zu schnell war alles gekommen. Jetzt sank sie zu Boden und raufte ihr graues Haar, sich anklagend, dass sie allein die Schuld trage an dem Tode ihres geliebten Kindes. Keiner hat die alte Hexe je wieder gesehen; ihr Haus zerfiel in Schutt und Moder. Als die Schneemassen geschmolzen und mit dem Toben des Wetters auch die Wasser
verschwunden waren, sah man, dass die Fluten den Ilsenstein auseinander gespalten hatten. Ein Bach, fortan nach der Prinzessin Ilse genannt, schlängelte sich durch die Felsentrümmer, deren einer der Ilsenstein heißt, während der jenseitige andere der Westernberg genannt wird.

Die holde Königstochter aber wohnt noch immer im Ilsenstein. Schon mancher hat sie gesehen, wenn sie im schimmernden Gewande, die Krone auf den blonden Haaren, aus dem Felsspalt hervorgetreten ist. Dann hat sie sich im Wasser der Ilse gebadet und ist mit Sonnenaufgang wieder verschwunden.

Alle, welche sich der Prinzessin keuschen Herzens nähern, überschüttet sie mit Wohltaten. Demjenigen dagegen, der arglistigen Herzens die Badende überraschen will, sprengt sie Wasser in die Augen und verwandelt ihn in eine alte, zottige Tanne. Es stehen der Tannen gar viele In ihres Bades Näh’, – Es hat sie alle verzaubert, Die keusche Wasserfee.

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