Die Sage von der Teufelsmauer

Ein geheimnisvoller Ort, an dem man Stimmen hört und Gold finden kann. Nur der Teufel kann diese Steinkolosse hierher versetzt haben. Ein Auszug aus dem Buch "Die schönsten Sagen aus dem Harz" mit Illustrationen von Luise Bussert.
Illustration Luise Bussert, „Die schönsten Sagen aus dem Harz“

Meilenlang zieht sich am Ostrand des Harzes mitten durch die vorgelagerte Ebene ein steiler, schmaler Bergrücken hin, dessen Spitze von einer fortlaufenden Kette grotesker und phantastischer Felsengestalten gekrönt ist; bei Blankenburg hebt er an und erst gegen Ballenstedt findet er sein Ende. Seine Formen sind auffällig und abenteuerlich. Dieser Bergrücken heißt die Teufelsmauer.

Wie von Riesenhänden zusammengefügt, steigen die Felsen bald als schroffe Klippen in die Höhe, bald fallen sie zerklüftet und schroff hinab, um in einem Fuße zu enden, der sich aus zersplittertem Steingeröll auftürmt. Es sind geheimnisvolle Orte, an denen man Stimmen hört und Gold finden kann, und ein einziger Blick genügt um zu erkennen, dass nur der Teufel diese Steinkolosse hierher versetzt haben kann:

Der Teufel war zutiefst unzufrieden. Bei der Aufteilung der Welt war er nicht berücksichtigt worden, und er wollte mit Gott die Erde teilen. Da schlug der Herrgott, um den Streit zu beenden, einen Handel vor. Dem Höllenfürsten solle ein Gebiet zufallen, das er in einer einzigen Nacht bis zum ersten Hahnenschrei mit einer Mauer umfrieden könne. Dieser Landstrich mit allem, was sich darauf und darunter befinde, würde ihm gehören. Und dafür kamen dem Teufel die Harzlande gerade recht.

Gesagt, getan! Kaum war die Sonne untergegangen, machte sich Luzifer ans Werk, eilte das Heer der teuflischen Helfer, böse unterirdische Geister, herbei. Das war ein Poltern und Krachen, ein Stemmen und Rennen, ein Schnaufen, Fluchen und Schreien! Der Teufel schuftete wie ein Besessener, denn das Gebiet, nach dem ihm verlangte, war riesengroß. Die Steinmauer wuchs beständig, und schnell schien sich der Ring zu schließen. Aber gerade in dem Augenblick, als sich der Teufel nach dem letzten passenden Stein bücken wollte, krähte in der Ferne ein Hahn!

Da war die Nacht vorüber, der Harz für den Teufel verloren und die Chance vertan. Voller Wut schleuderte der Fürst der Finsternis den Stein, der sein Werk vollenden sollte, ins Harzer Vorland, wo er nördlich von Ballenstedt liegenblieb. Dann rief der Tobende nach Blitz und Donner, trat selbst gegen die fast fertige Mauer und zerstörte sie. Die Trümmer aber und die zerrissenen Felsbrocken blieben stehen als ein Zeugnis der Allmacht des Höchsten und der Ohnmacht seines Widersachers.

Was der Teufel in diesem Moment aber nicht wusste: Der neue Tag war noch gar nicht angebrochen. Ein Hahn hatte nämlich vorzeitig gekräht und daran trug allein eine Bauersfrau aus Timmenrode die Schuld. Sie war früh am Morgen aufgebrochen und wollte zum Markttag nach Quedlinburg. In der Hand hielt sie einen verhängten Käfig, in dem ein stattlicher Hahn hockte. Den wollte sie verkaufen und hoffte, weil er so gut im Fleisch stand, auf einen guten Preis. Bis zum Sonnenaufgang blieb noch eine Stunde Zeit. Die Bäuerin schritt zügig aus, auch wenn ihr vor Müdigkeit die Augen fast zufielen – doch die Füße kannten den Weg. Als sie sich aber einmal umschaute, erblickte sie die Umrisse einer Mauer, die sie nie zuvor gesehen hatte, und sie erschrak so heftig darüber, dass sie ins Stolpern kam und fiel. Die Käfigtür sprang auf, der Hahn war draußen! Als der die Bäuerin bäuchlings liegen sah, bekam er es selbst mit der Angst zu tun, fing aufgeregt an zu flattern und schmetterte ein völlig verfrühtes »Kikeriki!« ins Land.

Und dies war es, was den Teufel völlig aus der Fassung gebracht hatte. So kam es, dass der Harz sich heutzutage nicht in Teufelshand befindet. Nur die Hähne in der Harzgegend hatten künftighin einen schweren Stand. Nach dem Debakel im Morgengrauen war der Teufel auf sie nicht gut zu sprechen. Wo er einem solchen gefiederten Zweibeiner begegnete, drehte er ihm den Hals um.

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