Der große Bau der Rappbodetalsperre

Ein Auszug aus dem Buch "Wunder verbinden – Natur, Tradition & Erfindergeist entlang der Bode".
Foto: Verlag Bussert & Stadeler

Gravitätisch und steingrau, schroff himmelwärts ragend – ein Bauwerk für die Ewigkeit. Gebaut, um 110 Millionen Kubikmeter Harzwasser genau an dieser Stelle aufzuhalten. Diese Stelle am Einlauf der Rappbode in die ‚Haupt‘-Bode wurde auserkoren, eines der bedeutendstenden Bauwerke Mitteldeutschlands aufzunehmen und gleich auch namenstechnisch Pate zu stehen. Dabei war die kleine Rappbode am Anfang der Projekte nicht einmal eine Überlegung wert.

Vor unserem geistigen Auge schwingt die Aufbauzeit noch einmal herüber. Da ist die von mächtigen Türmen gehaltene Kabelkranbahn über den eingeschalten Betonfeldern der Sperrmauer, da sind die sich senkenden und hebenden Transportkübel, die pausenlos rotierenden Mischmaschinen, die Wohnbaracken im zementgrauen Wald, der Staub in der Luft und Schlamm auf der Erde. Das Wasser unterbricht seinen munteren Fluß. Es gilt, dieses Titanenwerk zu bestaunen, kennenzulernen und zu verstehen. Dazu ist eine Zeitreise notwendig. Und wie in Deutschland üblich, begann alles mit einem Plan.

1891 – Utopie im Bodetal

In Thale wurden ab 1891 Pläne für eine Sperrmauer geschmiedet. Als Vorbild mag die Eschbachtalsperre in Remscheid gedient haben, die in diesem Jahr durch private Bauunternehmen errichtet und in Betrieb genommen wurde. Es waren Jahre des wirtschaftlichen Aufschwunges der Kaiserzeit, alles schien möglich. Bauunternehmer Ferdinand Arnecke aus Thale brachte als erster die Idee eines Staudammes im Bodetal dem staunenden Publikum zu Gehör. Der unerhört kühne Vorschlag bestand aus einer Bogengewichtsmauer, die die Bode etwa in Höhe Bodekessel gesperrt hätte. Diese Mauer wäre 150 Meter hoch geworden und hätte man den verwegenen Plan ausgeführt, belegte dieser „Hoover-Damm en miniature“ im Ranking der höchsten Talsperren der Welt 2023 wohl etwa einen respektablen 230. Platz. Das Wasser hätte sich bis Wendefurth gestaut. Der Stausee würde sich rechnerisch über 19 Kilometer erstrecken. Treseburg und Altenbrak hätten geräumt werden müssen. Im Luppbodetal würde das Stauwasser das Bergmassiv des Bossleich erreichen; selbst das rechtsseitige Seitental, darin der Tiefenbach fließt, wäre auf 100 Meter Länge talaufwärts gestaut.

Früh fand sich eine Planungsgesellschaft zusammen. Arnecke hatte ein Interesse am Bauauftrag, dagegen die Firma Schuckert aus Nürnberg und die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft (AEG) aus Berlin auf eine lukrative Stromerzeugung aus Wasserkraft aus waren. Bei den notwendigen Verhandlungen zeigte sich schnell, daß breite Harzer Kreise den Schwerpunkt des Projektes lieber beim Hochwasserschutz gesehen hätten, auch regte sich bereits das Pflänzchen Natur-und Heimatschutz. Es wurde also umgeplant. Aus der Verschiedenartigkeit der geforderten Aufgaben an das Großprojekt ergab sich die Notwendigkeit, mehrere Sperrwerke vorzusehen. Vom Plan, nur eine, wenn auch gigantische Mauer zu bauen, mußte man sich verabschieden.

1900 – Abkehr von Gigantomanie

1900 lag erstmals der Vorschlag eines ganzen Systems von Talsperren an der Bode vor. Danach war von Thale bodeaufwärts die erste Sperre an der Prinzensicht vorgesehen, deren Wasserfläche bis kurz vor Treseburg reichen würde. Da der Ort nicht mehr überstaut werden durfte, wäre das bei der Endhöhe der Sperrmauer zu berücksichtigen gewesen. In Wendefurth wäre etwa an heutiger Stelle die zweite Sperre vorgesehen, das Wasser dieser Sperre hätte den Bodelauf bis kurz vor Neuwerk und Teile des Rappbodetals gefüllt. Talaufwärts wäre in Höhe der Präzeptorklippe die Sperre Nummer Drei entstanden, deren Ausläufer bis in den Bereich der heutigen Hassel- und Rappbodevorsperren gereicht hätte. Eine vierte Sperre war am Hahnekopf bei Rübeland vorgesehen; ähnlich der heutigen Staulage erstreckte sich deren Wasserfläche bis kurz vor die Ortslage des heutigen Königshütte. Diese Sperre hätte vor allem Rübeland und Neuwerk vor Hochwasserwellen schützen sollen.

Der Clou war jedoch die Idee eines hier anzusetzenden Wasserüberleitungsstollens zur Sperre Drei im Rappbodetal. Dieses einsame Tal bot morphologisch viel Platz; konnte mithin eine bedeutende Wassermenge speichern, was für die neu hinzugekommene Aufgabe der Trinkwasserbereitstellung von enormer Bedeutung war. Doch war das Wasserangebot der kleinen Rappbode eher kümmerlich. Sie hätte so ein großes Speichervolumen niemals füllen können. Dieses Manko konnte durch umgeleitetes „Fremdwasser, im Sinne von Zusatzwasser“ ausgeglichen werden; eine brillante Idee, die heute noch eine tragende Funktion im Bodewerk hat. Immerhin ließ diese Idee schon viele Elemente des heutigen Erscheinungsbildes erkennen. Umsiedlungen von Harzdörfern wären nicht mehr notwendig gewesen.