Adeles Muse und Oswalds Untergang – Herzogstraße 18, Blankenburg

Ein Auszug aus dem Buch "Villenstadt Blankenburg - Glanz und Geschichte" in dem 42 der schönsten und interessantesten Villen Blankenburgs vorgestellt werden.
© Verlag Bussert & Stadeler, Foto: Clemens Bussert

In diesem Haus wurde einer der bekanntesten Schriftsteller Blankenburgs, Oswald Spengler, am 29. Mai 1880 geboren. Schon damals gab es hier Mietwohnungen, ein Major a.D. Broitzem und die Witwe Strümpel haben um 1890 hier gewohnt. Adele Grantzow, Oswalds früh verstorbene Tante, war zu dieser Zeit bereits eine Primaballerina von Weltruhm, ein bekannter Bühnenstar. Bereits als Kind stand sie auf der Bühne. Ihre künstlerischen Pfade führten sie nach Paris, Wien und Kairo, schließlich bis an die Newa und nach Moskau. Sie verstarb an einer schweren Blutvergiftung 1877 und wurde in Blankenburg auf dem Friedhof am Lühnertor in einem eigens für sie geschaffenen und noch heute existenten Mausoleum beigesetzt. Das Mausoleum wurde so errichtet, daß der Eingang zu ihrem Haus weist.

Das Haus ließ Adele 1870 für sich selbst und für ihre Eltern errichten. Sie war es auch, die auf dem Balkon der ersten Etage die Statue der Polyhymnia, Tochter des Zeus und eine der neun Musen, aufstellte, so kannte sie es von den feinen Kreisen in Berlin. Noch heute ist die Statue dort zu finden. Nach ihrem frühen Tod erbte ihre Schwester, die spätere Mutter des Schriftstellers und Philosophen. Spenglers Großvater war Hüttenmeister in Altenbrak, einer von mehreren, vom Herzog angeworbenen süddeutschen Eisenhüttenfachleuten, der Vater Postobersekretär in Blankenburg, Soest und Halle.

Spenglers bekanntestes Werk, das ihn sogar weltweit bekannt machen sollte, war »Der Untergang des Abendlandes«. Dieses Buch propagiert eine zyklische Geschichtsphilosophie. Das organische Werden und Vergehen von Kulturen wird in Analogie zu biologisch-evolutionären Lebensprozessen gesetzt. Eine These von Spengler lautet: »Der abendländische Mensch lebt mit dem Bewußtsein des Werdens, dem ständigen Blick auf Vergangenheit und Zukunft«. Mit diesem morphologischen Blick auf Geschichte traf Spengler einen Nerv in den Debatten der 20er Jahre in der Weimarer Republik.

Der »Untergang des Abendlandes« gab dem täglichen Albtraum der kriegstraumatisierten deutschen Bürger einen Sinn. Die Umwälzungen, die sie erlebten, wurden von Spengler zur historischen Notwendigkeit erklärt. Die »faustische Seele« Westeuropas, so verkündete er es dem staunenden Publikum, habe ihr Lebenswerk vollendet, das Repertoire ihrer Möglichkeiten erschöpft. Sie sei am gleichen End-Punkt wie das Rom der Triumvirate, das Bagdad der Kalifen und das China der Ch’in-Kaiser angekommen. Nun gebe es nur die Wahl, am unvermeidlichen Kampf um die kontinentale Herrschaft aktiv oder passiv teilzunehmen, als Volk Cäsars oder als Sklavenvolk.

Bislang, so Spengler, habe man sich vielerlei Vorstellungen von der Zukunft machen können, nun aber gehe es bloß noch darum, »das Notwendige oder nichts« zu tun. Dieser kulturkonservative philosophische Ansatz schmeckte sicher nicht jedem, und die Rezeption des großen Kulturmorphologen schwankt zwischen Verehrung und Verachtung. Aber: »Der vergessene Spengler rächt sich, indem er droht, recht zu behalten«, schrieb der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno im Jahr 1950.
Nach sehr umfangreichen Restaurierungsarbeiten infolge weit fortgeschrittenen Verfalls beherbergt das Haus heute neben Wohnungen auch eine Arztpraxis, und so wird den Menschen in diesem Haus zwar nicht mehr geistig eine Richtung gegeben, dafür aber praktisch bei der Wiederherstellung ihrer Gesundheit geholfen. Eine handfeste Philosophie!

 

 

 

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