Harzdrenalin: Ganz schön hipp, der Harzer Mega-Zip

Harzdrenalin hat Spiel, Spaß und Spannung bereits im Namen. Freizeitmäßig wird im Harz direkt vor der Rappbodetalsperre deshalb stärkerer Tobak geschnupft.
Foto aus dem Buch: Wunder verbinden – Natur, Tradition & Erfindergeist entlang der Bode vom Verlag Bussert & Stadeler

Ein kluger Mann sagte mal, es gibt hier keine Berge, nur Täler. Die Richtigkeit dieser These unterstellend, tut sich hier ein Tal auf, das einzig dasteht. Den vielen Superlativen der Natur und des Talsperrensystems fügt der Mensch ein weiteres hinzu.

Harzdrenalin

Bislang beschränkte sich das Erholungsangebot auf Wandern um und Rudern auf dem Wendefurther Stausee. Es gab ein Motel am legendären „Kilometer Neun“ – der Bundesstraße 81 – in dem auch einmal die Fußballer von Bayern München übernachteten. Das war‘s dann aber auch. Es bedurfte erst einer Initiative von Harzdrenalin, die Spiel, Spaß und Spannung bereits in ihrem Namen erkennen läßt. Freizeitmäßig wird heute und hier deshalb stärkerer Tobak geschnupft.

Dieser Gedanke kommt einem schlagartig in den Sinn, wenn man an der Abfahrtsstelle der „Mega-Zip-Line“ im Gurtgeschirr hängt und seines Abflugs harrt. 120 Meter tiefer funkelt silbern das Wasser des Wendefurther Stausees. Hier oben hat man den Point of not return schon hinter sich; vor einem liegt der Freiflug am Seil. Mit achzig, neunzig Sachen jaulen die Räder der Seilrollen in hohem Diskant durchs Bodetal – einen ganzen Kilometer lang. Dann folgt die sanfte Landung auf der Kraftwerksseite des Tales. Benommen und doch überglücklich wankt man mit weichen Knien davon. Ganz stark der Eindruck: Einmalig!

Eine Idee der Elbingeröder Gebrüder Maik und Stefan Berke wurde hier verwirklicht, vielleicht sogar ihr Lebenstraum. Jahrzehntelang waren im Bereich des Bodewerkes mit Ausnahme der Wendefurther Sperre keine Freizeitaktivitäten möglich, obwohl es an Ideen nicht mangelte. Unter Mitwirkung mutiger, entscheidungsstarker und durchsetzungsstarker Männer sowohl im Landratsamt als auch in der Talsperrenverwaltung konnte das jahrzehntealte Verdikt überwunden werden. Seit 2009, dem Geburtsjahr von „Harzdrenalin“, mußten die Inhaber indessen die übliche –deutsche – Herangehensweise an ungewöhnliche Projekte kennenlernen.

„In der ersten Phase wird das Vorhaben als barer Unsinn bezeichnet. In der zweiten Phase wird es mit allen Mitteln bekämpft. In der dritten Phase hat man es schon immer gewußt, welch exzellentes Projekt hier entstehen würde.“

Im Deutschland der Bedenkenträger und allwissender Hasenfüße wirken deshalb diese visionären Macher wie ein bißchen aus der Zeit gefallen. Contra aquam torrentem! Mittlerweile ist ein Besuchermagnet herangewachsen, den es in dieser Form kaum ein zweites Mal in Europa geben dürfte. Parkplatz für 430 Autos, Ticketcenter und Regionalshop sind unentbehrliche Zutaten für das Hauptgericht der die Nerven kitzelnden Attraktionen. Die gastronomische Versorgung übernimmt – außerordentlich memorabel – eine Fettluke. Den bergan führenden Baresel-Weg hinter sich gebracht, beginnt gleich neben dem Süd-Turm der Seilrutsche eine zunächst harmlos wirkende Stahlbrücke. Die entpuppt sich bei genauem Hinsehen als eine endlose Hängebrücke. Solche Konstrukte erwartet man in Action-Filmen, wie sie in den Urwaldschluchten Südostasiens gedreht werden, aber doch nicht hier!

Und doch überspannt dieses Unikat mit 458 Metern – weltrekordverdächtig – nicht den Rio Grande, sondern das liebliche Bodetal oberhalb Wendefurths. Das war zur Einweihung 2017 die weltlängste freihängende Brücke! 120 Tonnen Stahl tragen bis zu 210 Besucher gleichzeitig in über 100 Metern Höhe. Gebaut von der Firma HTB aus Österreich und ersonnen von den Brüdern Berke, war die „Titan“ genannte Brücke zunächst nur Mittel zum Zweck, das heißt als Absprungort für den „Giga-Swing“. Warum aber nur einen Steg bis zur Talmitte bauen, mag man gedacht haben, wenn man besser ein Bauwerk quer über das gesamte Tal der Rappbode bauen könnte? Allein die statischen Gründe waren zwingend.

Ein kleiner nützlicher Tip für alle, die gern ohne Wackelei darüber gehen wollen: Immer dann über die Brücke, wenn viele Besucher drauf sind! Dann schwingt sie kaum! Hat man das gewaltige Teil für sich allein, dann wackelt es ordentlich, für gewöhnlich muß man beide Hände am Handlauf haben. Selbst gestandene Mountainbiker hat es bereits von ihrem Radel geschüttelt beim Versuch die Brücke im Sattel zu überqueren. Ein Flippen, das heißt Umdrehen der gesamten Brücke ist durch eigens abgespannte Unterseile ausgeschlossen. Über eine intelligente Einlaßsteuerung ist gewährleistet, daß nie mehr als die 210 zugelassenen Personen auf der Brücke sind.

Der „Giga-Swing“ holte sich den renommierten US-Design-Preis sowie den ebenso begehrten Preis für die beste Freizeit-Attraktion. Das war gleichzeitig eine Würdigung der unternehmerischen Leistung. Immerhin hat Harzdrenalin Investitionen von 18 Millionen Euro hier oben getätigt. Die Krönung war der Gewinn des weltweit ausgeschriebenen IAAPA-Preises, den die beiden Macher in Florida in Empfang nehmen durften.

Aussichtsturm Solitair mit dem Hohen Katapult16
Foto aus dem Buch: Wunder verbinden – Natur, Tradition & Erfindergeist entlang der Bode vom Verlag Bussert & Stadeler

Ultra-Shot: Das Menschenkatapult

Bei allen bislang gebauten Harzdrenalin-Attraktionen ging es stets abwärts, nun meinten die Berkes, daß die nächste Neuheit zur Abwechslung mal nach oben gehen sollte. Geschickt verpackten sie 2022 ihre Weltneuheit in einem zunächst harmlos wirkenden stählernen Aussichtsturm, wie er des Öfteren in deutschen Landen steht. Dessen weltweit einzigartige Überraschung lauert indessen im Inneren des Turmes auf Touristen. Wer sich mittels dieses „Ultra-Shots“ 37 Meter hoch schießen läßt, bekommt drei Dinge gleichzeitig geboten: Geschwindigkeit, Schwerelosigkeit und freien Fall! Das geschieht mittels eigens nur für 165 dieses Projekt entwickelten Karbonzahnriemen, die zwei Elektromotoren absolut synchron ansteuern. Tandemschüsse sind auch möglich, eine feine Sache für verliebte Pärchen!

Ach ja, eine Aussichtsplattform für alle Schußverweigerer gibt es natürlich auch; die Aussicht zum Dreitälerblick unten und Brockenmassiv oben ist kaum wiederholbar.

Der Talsperrenbetrieb bleibt bei dieser Ansammlung von Mega-Giga-Ultra und vielleicht bald auch Terra-Superlativen stets im Schatten, wird insgesamt aber sichtbarer. Denn ohne den ikonischen Giganten „Bodewerk“ gäbe es auch kein „Harzdrenalin“ an dieser wunderbaren Harzer „Location“.

Die nicht so schnell gegebene Wiederholbarkeit aller Neuheiten ist ein Markenzeichen von „Harzdrenalin“. Man stelle sich nur die vielen Klettergärten in vielen Ortschaften vor – eine vergleichbare Abkupferung dürfte mit den „Berke-Wundern“ kaum möglich sein. Nur durch eine tatsächlich harmonische Zusammenarbeit mit dem Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt AöR konnte dieses beeindruckende Ensemble erreicht werden. Eine rote Linie bildet indessen die Mauerkrone der Rappbodetalsperre; ab hier ist wasserseitig nichts mehr genehmigungsfähig.